Internationale Zuständigkeit
INTERNATIONALE ZUSTÄNDIGKEIT IN EHESACHEN
Allgemeines
Die internationale Zuständigkeit eines Familiengerichts ist immer dann zu problematisieren, wenn die so genannte Ehesache Bezüge zu einer ausländischen Rechtsordnung aufweist. Dies kann die ausländische Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten sein oder der letzte bzw. aktuelle Lebensmittelpunkt der Ehegatten im Ausland. Dabei muss unterschieden werden, ob die berührte Rechtsordnung zur Europäischen Union gehört und somit im Regelfall das europäische Recht vorrangig angewendet werden muss oder ob auf das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht zurückgegriffen werden darf.
Regelungen des europäischen Rechts: Brüssel IIa-VO
Soweit Berührungspunkte zu einem europäischen Land durch Staatsangehörigkeit oder gewöhnlichen Aufenthalt bestehen, ist die internationale Zuständigkeit eines Gerichts zwingend und unmittelbar aus der am 27.11.2003 verabschiedeten (Inkrafttreten am 01.03.2005) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EheVO 2000) zu bestimmen. Allerdings gilt sie nicht für Dänemark.
In Art. 3 der Brüssel IIa-VO sind in sieben Anknüpfungspunkten verschiedene Zuständigkeiten vorgesehen. Ein Gericht ist nach Art. 3 Abs. 1 zuständig, wenn:
- beide Ehegatten dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, also beide Ehegatten wohnen in Deutschland: deutsche Gerichte sind mithin zuständig.
oder
- die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt haben, sofern einer der beiden dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, also beide Ehegatten haben in Deutschland gewohnt, nun ist ein Ehegatte nach Frankreich gezogen: deutsche Gerichte sind zuständig.
oder
- der Antragsgegner dort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, also der antragstellende Ehegatte wohnt in Frankreich, der Antragsgegner wohnt in Deutschland: deutsche Gerichte sind zuständig.
oder
- im Falle eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, also einer der Ehegatten wohnt in Deutschland, der andere in Italien, beide stellen gemeinsam den Antrag: deutsche Gerichte sind zuständig.
oder
- der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragsstellung aufgehalten hat, also der antragstellende Ehegatte wohnt seit zwei Jahren in Deutschland, der andere in Polen: deutsche Gerichte sind zuständig.
oder
- der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wenn er sich seit mindestens 6 Monaten unmittelbar vor der Antragstellung dort aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaates ist, also der antragstellende Ehegatte lebt seit mindestens sechs Monaten in Deutschland, ist aber Deutscher: deutsche Gerichte sind zuständig.
Es ist zu beachten, dass diese Anknüpfungspunkte gem. Art. 6 Brüssel IIa-VO ausschließlichen Charakter haben. Dies bedeutet, dass daneben eine Zuständigkeit nach nationalem Recht nicht begründet werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates hat.
-> Ein Deutscher kann sich also nicht darauf berufen, dass ihm eventuell das FamFG erlaubt, die deutschen Gerichte anzurufen, solange diese Zuständigkeit sich aus der Brüssel IIa-VO ergibt.
Außerdem bestimmt der Art. 3 Abs. 2 lit. b Brüssel IIa-VO, dass die Gerichte des Heimatstaates beider Ehegatten international zuständig sind (Staatsangehörigkeit bzw. domicile).
-> Die Ehe von zwei Franzosen, welche in Deutschland leben, kann auch in Frankreich geschieden werden.
Daneben erklärt der Art. 5 Brüssel IIa-VO dasjenige Gericht eines Mitgliedstaates für die Ehescheidung zuständig, das zuvor eine Entscheidung über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes dieser Ehe erlassen hat.
Internationale Zuständigkeit nach deutschem Recht
Allgemeines
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestimmt sich nach deutschem Recht, wenn eine Verbindung zu einer außereuropäischen Rechtsordnung besteht oder, wenn sich gemäß Art. 7 Abs. 1 der Brüssel IIa-VO keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaates ergibt.
Internationale Zuständigkeit
Für die Bestimmung der Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte in Ehesachen ist auf § 98 FamFG zurückzugreifen.
Nach § 98 FamFG sind die deutschen Gerichte in folgenden Fällen zuständig:
- wenn mindestens ein Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder bei der Eheschließung hatte,
- wenn beide ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland haben,
- wenn nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, sofern dieser Staatenloser ist,
- wenn nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ohne Staatenloser zu sein, aber nur dann, wenn nicht offensichtlich ist, dass die zu erwartende Entscheidung nach den Gesetzen keines der Heimatländer anerkannt werden würde.
Es gilt der Grundsatz der perpetuatio fori, dies bedeutet, dass, wenn das Kriterium, welches die internationale Zuständigkeit bei Rechtshängigkeit oder danach begründet hat, wegfällt, der Gerichtsstand eröffnet bleibt, also das Gericht weiterhin zuständig ist. In Deutschland ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin (http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/ag/schoen/) ausschließlich zuständig, wenn die Parteien im Ausland leben, aber einer der Parteien zumindest über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt. Lebt ein Ehegatte in Deutschland ist das Gericht zuständig, in dessen Gerichtsbezirk dieser wohnt.
Wer scheidet Ehen mit doppelter Staatsangehörigkeit? EuGH
Im Fall einer Scheidung von Eheleuten, die beide die gleiche doppelte Staatsangehörigkeit zweier EU-Mitgliedsstaaten besitzen, können Gerichte beider Länder zuständig sein. Laut EuGH-Entscheidung (C-168/08) verpflichte die Verordnung 2201/2003/EG ein Gericht in seiner Zuständigkeitsprüfung, die Staatszugehörigkeit der Ehegatten zu einem anderen Mitgliedsstaat zu berücksichtigen. Es stehe den Parteien frei, sich für eine Gerichtsbarkeit zu entscheiden. Für den Fall, dass sich die Ehegatten an Gerichte in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten wenden, müsse das später angerufene Gericht sein Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt sei (Art. 19 Abs. 1 der o. g. Verordnung). Ein Gericht in Frankreich hatte die vom Ehemann bei einem ungarischen Gericht eingereichte Scheidung nicht anerkannt und stattdessen der französischen Staatszugehörigkeit Vorrang eingeräumt. Die Ehefrau hatte knapp ein Jahr nach ihrem Mann in Frankreich die Scheidung der Ehe beantragt. Beide Eheleute besitzen sowohl die ungarische als auch die französische Staatsangehörigkeit und lebten seit 1980 in Frankreich.
http://dejure.org/gesetze/ZPO/606a.html
http://www.paris.diplo.de/Vertretung/paris/de/04/Konsularischer_20Dienst_20Paris/Familien-Erbrecht/Sorgerecht.html
https://www.berlin.de/gerichte/amtsgericht-schoeneberg/
Auf dieser Seite findet man Hinweise für das Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht Schöneberg.
DIE ZUSTÄNDIGKEIT IN SORGERECHTSFRAGEN INNERHALB DER EU
EuGH Urteil vom 23.12.2009 – C 403/09 – (Rechtssache der Detièek / Sgueglia)
HKÜ Art. 12, 13; VO (EG) 2201 / 2003, Art. 8, 11, 20)
Der EuGH hat zur Zuständigkeit der Gerichte in unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten bei Sorgerechtsfragen entschieden, dass für die Interessenabwägung zum Wohle des Kindes das Hauptsachengericht zuständig ist.
Das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich ein Kind befindet, kann nicht das Sorgerecht für dieses Kind vorläufig einem Elternteil zusprechen, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das in der Hauptsache zuständig ist, das Sorgerecht bereits auf den anderen Elternteil übertragen hat. In einem solchen Fall Dringlichkeit anzunehmen, verstieße gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen der Mitgliedstaaten und gegen das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, darauf hinzuwirken, dass es nicht zu widerrechtlichem Verbringen und Zurückhalten von Kindern zwischen Mitgliedstaaten kommen darf.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Frau Detièek, eine slowenische Staatsangehörige, und Herr Sgueglia, ein italienischer Staatsangehöriger, in Scheidung liegende Eheleute, lebten 25 Jahre lang in Italien. Am 25. Juli 2007 übertrug das zuständige Gericht in Tivoli (Italien), das mit dem Scheidungsantrag der Eheleute befasst ist, in dessen Rahmen es auch um das Sorgerecht für ihre 1997 geborene Tochter Antonella geht, vorläufig das alleinige Sorgerecht auf Herrn Sgueglia und ordnete die vorläufige Unterbringung des Kindes in einem Heim in Rom an. Am selben Tag verließ Frau Detièek mit ihrer Tochter Italien und begab sich nach Slowenien, wo die beiden seither leben.
Mit Entscheidung eines slowenischen Gerichts wurde der Beschluss des Gerichts in Tivoli für in der Republik Slowenien vollstreckbar erklärt. Auf der Grundlage dieser Entscheidung wurde ein Vollstreckungsverfahren zur Herausgabe des Kindes an seinen Vater und Unterbringung im Heim eingeleitet.
In der Folge sprach das slowenische Gericht Frau Detièek auf deren Antrag unter Berufung auf eine Änderung der Umstände und das Kindeswohl das vorläufige Sorgerecht zu. Das Gericht stellte fest, dass sich Antonella in ihr soziales Umfeld in Slowenien integriert habe. Eine Rückkehr nach Italien und erzwungene Unterbringung in einem Heim liefe dem Wohlergehen des Kindes zuwider, weil dies ein irreversibles körperliches und seelisches Trauma hervorrufen könnte. Zudem habe Antonella während des Gerichtsverfahrens in Slowenien den Wunsch geäußert, bei ihrer Mutter in Slowenien zu bleiben.
Das Višje sodišèe v Mariboru (Obergericht Maribor) (Slowenien), bei dem Herr Sguelgia ein Rechtsmittel einlegte, hat den Gerichtshof gefragt, ob das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich das Kind befindet, eine einstweilige Maßnahme erlassen kann, die darauf abzielt, das Sorgerecht für das Kind einem Elternteil zuzusprechen, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats bereits eine Entscheidung erlassen hat, mit der das Sorgerecht für das Kind vorläufig auf den anderen Elternteil übertragen worden ist, und diese Entscheidung im erstgenannten Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt wurde.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich das Kind befindet, die in den Rechtsvorschriften dieses Staates vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen oder Schutzmaßnahmen nur anordnen dürfen, wenn drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind: Die betreffenden Maßnahmen müssen dringend sein, sie müssen in Bezug auf Personen oder Vermögensgegenstände getroffen werden, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das betreffende Gerichte seinen Sitz hat, und sie müssen vorübergehender Art sein. Liegt auch nur eine dieser drei Voraussetzungen nicht vor, kann die beabsichtigte Maßnahme nicht unter eine Ausnahme von dem im Recht der Europäischen Union festgelegten Zuständigkeitssystem fallen.
Der Begriff der Dringlichkeit in der einschlägigen Bestimmung der Verordnung bezieht sich sowohl auf die Situation, in der sich das Kind befindet, als auch auf die praktische Unmöglichkeit, den die elterliche Verantwortung betreffenden Antrag bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen. Der Gerichtshof führt aus, dass die Umstände des vorliegenden Falles die Feststellung einer solchen Dringlichkeit nicht zulassen.
Erstens verstieße die Annahme von Dringlichkeit in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen der Mitgliedstaaten, der auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten beruht. Wenn nämlich eine Änderung der Umstände infolge eines schrittweisen Prozesses wie der Integration des Kindes in ein neues Umfeld genügte, damit ein in der Hauptsache nicht zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme erlassen darf, die auf Änderung der die elterliche Verantwortung betreffenden Maßnahme des in der Hauptsache zuständigen Gerichts abzielt, würde die eventuelle Langsamkeit des Vollstreckungsverfahrens im ersuchten Mitgliedstaat dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die es dem erstgenannten Gericht erlauben, die Vollstreckung der für vollstreckbar erklärten Entscheidung zu verhindern. Eine solche Auslegung würde unmittelbar die Grundsätze erschüttern, auf denen diese Verordnung beruht.
Zweitens ergibt sich im vorliegenden Fall die Änderung in der Lage des Kindes aus einem widerrechtlichen Verbringen im Sinne der Verordnung. In einem solchen Fall Dringlichkeit anzunehmen, verstieße gegen das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, darauf hinzuwirken, dass es nicht zu widerrechtlichem Verbringen und Zurückhalten von Kindern zwischen Mitgliedstaaten kommt. Würde zugelassen, dass Maßnahmen getroffen werden, die zu einer Änderung der elterlichen Verantwortung führen, würde letztlich durch Konsolidierung der durch ein rechtswidriges Verhalten geschaffenen Tatsachen die Position des Elternteils gestärkt, der für das widerrechtliche Verbringen verantwortlich ist.
Der Gerichtshof führt weiter aus, dass einstweilige Maßnahmen in Bezug auf Personen getroffen werden müssen, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das für diese Maßnahmen zuständige Gericht seinen Sitz hat. Eine einstweilige Maßnahme bezüglich der elterlichen Verantwortung, die auf Abänderung des Sorgerechts abzielt, wird nicht nur in Bezug auf das Kind selbst getroffen, sondern auch in Bezug auf den Elternteil, auf den das Sorgerecht neu übertragen wird, sowie den anderen Elternteil, dem das Sorgerecht infolge des Erlasses der Maßnahme entzogen wird. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Vater in einem anderen Mitgliedstaat lebt, und nichts weist darauf hin, dass er sich in dem Mitgliedstaat befindet, dessen Gericht die Zuständigkeit für sich beansprucht.
Schließlich stellt der Gerichtshof fest, das eines der Grundrechte des Kindes der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen ist, dessen Wahrung zweifellos dem Wohl jedes Kindes entspricht. Ein widerrechtliches Verbringen des Kindes aufgrund einer einseitig von einem Elternteil getroffenen Entscheidung beraubt das Kind zumeist der Möglichkeit, regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zum anderen Elternteil zu pflegen. Eine Maßnahme, die regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen verhindern würde, könnte allenfalls durch ein Interesse des Kindes gerechtfertigt werden, das so stark ist, dass es das dem genannten Grundrecht zugrunde liegende Interesse überwiegt. Eine ausgewogene und angemessene Abwägung aller betroffenen Interessen, die auf objektiven Überlegungen zur Person des Kindes und zu seinem sozialen Umfeld beruhen muss, hat aber grundsätzlich in einem Verfahren vor dem in der Hauptsache zuständigen Gericht zu erfolgen.
Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass das Recht der Union einem Gericht eines Mitgliedstaats nicht erlaubt, eine einstweilige Maßnahme bezüglich der elterlichen Verantwortung zu erlassen, die darauf abzielt, das Sorgerecht für ein Kind, das sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befindet, einem Elternteil zuzusprechen, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das dafür zuständig ist, den Sorgerechtsstreit in der Hauptsache zu entscheiden, bereits eine Entscheidung erlassen hat, mit der das Sorgerecht für das Kind vorläufig auf den anderen Elternteil übertragen worden ist, und diese Entscheidung im erstgenannten Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt wurde.
INTERNATIONALE ZUSTÄNDIGKEIT FÜR VERFAHREN HIN-SICHTLICH DER ELTERLICHEN VERANTWORTUNG
Anwendungsbereich
Die Brüssel IIa-VO spricht nicht von dem Begriff der elterlichen Sorge, sondern von der elterlichen Verantwortung. Unter elterlicher Verantwortung ist die Regelung des Sorgerechts sowie des Umgangsrechts zu verstehen. Aber nicht jeder Mitgliedsstaat sieht eine mit nach deutscher Rechtsauffassung vergleichbare Wertung der elterlichen Sorge vor. So wird in vielen Ländern von der sogenannten elterlichen Gewalt gesprochen, so z. B. in Italien „potestà genitoriale”, gleichfalls in Spanien „patria potestad“, in Frankreich ist es die „autorité parentale“. Jeder Mitgliedsstaat regelt somit autonom, seinen Begriff der elterlichen Sorge bzw. elterlichen Gewalt. Entscheidend ist diese Problematik im Falle von Kindesentziehungen, da hier nach dem nationalen Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes zu prüfen ist, ob eine Verletzung der elterlichen Sorge bzw. elterlichen Gewalt vorliegt. Nach deutschen Gesichtspunkten fallen unter den Begriff der elterlichen Verantwortung die elterliche Sorge und das Umgangsrecht.
Grundsatzzuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO
Hiernach sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung für das Kind betreffen, die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zur Zeit der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Zeitpunkt der Antragstellung. Unter gewöhnlichem Aufenthalt ist grundsätzlich der Ort zu verstehen, an dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, also familiär und sozial integriert ist. Hierbei entscheidend ist auch, die Umstände des Aufenthaltes, sowie die Gründe für den Aufenthalt bzw. den Umzug sowie der Wille der Sorgeberechtigten.
Zuständigkeit für Abänderungsanträge in Umgangsverfahren
nach Art. 9 Abs. 1 Brüssel IIa-VO
Bei Abänderungsanträgen in Umgangsverfahren bleibt es bei einer Zuständigkeit des Gerichts des Aufenthaltsstaates für einen Zeitraum von drei Monaten, der zeitlich ab dem Umzug gilt für eine vor dem Umzug des Kindes ergangene Umgangsentscheidung. Der Umzug muss aber rechtmäßig sein, das ist der Fall, wenn der Umzug entweder gerichtlich genehmigt wurde oder der andere Elternteil zugestimmt hat. Weiterhin findet Art. 9 Abs. 1 Brüssel IIa-VO nur dann Anwendung, wenn bereits eine Umgangsentscheidung eines Gerichtes im bisherigen Aufenthaltsstaates ergangen ist. Diese Entscheidung muss vor dem Umzug ergangen sein. Im Übrigen wird vorausgesetzt, dass der umgangsberechtigte Elternteil sich weiterhin im Aufenthaltsstaat des Kindes gewöhnlich aufhält.
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